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Der Stolz der Dämonen

Indische Sagen (Puranas) erzählen immer wieder von Dämonen, die über viele Inkarnationen hinweg, durch erbarmungslose Selbstkasteiung ihren Willen unbezwingbar zu machen wollen. Ihr Ziel ist es, auf diese Weise schließlich so viel Macht zu erlangen, dass sie die ganze Welt beherrschen können. Solche machtgeile Dämonen ließen sich über dem Feuer aufhängen, saßen über Winter in eisigen Seen, hielten die Arme hoch, bis diese verdorrten.

„Mit hoch erhobenem Stock treibt der Wahn die Welten wie Herden vor sich her. Wer, oh Herr, so weiß wie Jasmin, vermag deine Täuschungen zu durchschauen“

Mahadeviyakka, südindischer Dichterin, 10 JH [1]

Die Brüder Shumba und Nishumba

Zwei solcher machtgeilen Dämonen, Brüder namens Shumba und Nishumba, trieben die grausamen Marter auf die Spitze. Sie schnitten sich Stück für Stück Fleisch von den Knochen, bis sie nur noch Skelette waren und opferten es Shiva. Sechstausend Jahre lang, taten sie das. Alles opferten sie, nur ihren Stolz nicht. Ihre Askese zwang Brahma, den Schöpfer vom Weltenberg herunterzukommen.

„Was wollt ihr? Wollt ihr in Shivas Wonne eintreten? Dann müsst ihr euren Stolz noch opfern!“

„Nein,“ antworteten die Brüder, „wir geben uns nur mit der Herrschaft über das Universum zufrieden!“

Brahma konnte ihren Sinn nicht ändern. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Die alten Schriften erzählen, dass die Himmlischen in ärgste Not gerieten und als Bettler durch die staubige Landschaft ziehen mussten. Die Dämonen verboten die Ausübung jeglicher wahrer Religion – nur sie sollte man anbeten! Die Gesellschaft geriet in Unordnung, weil die Brahmanen sich nicht mehr trauten, die heiligen Veden zu rezitieren. Feste, Spiele, Jahrmärkte und alle Veranstaltungen, die den Menschen Freude machen, wurden verboten.

Shumba und Nishumba setzen Wälder in Brand.

Waldfeuer

Spitzel und Schnüffler waren überall, um Gesetzesverstöße zu melden. Shumba und Nishumba veränderten das Wetter nach ihrer Willkür. Sie leiteten Flüsse um. Der Himmel wurde trüb vom Rauch der brennenden Wälder und qualmenden Eisenhütten, dass man nachts die Sterne nicht mehr sehen konnte. Die Jahreszeiten verschoben sich und das Klima erwärmte sich so sehr, dass es Blüten und Früchte im Winter gab. Die geplagte Erde brachte zwar Rekordernten hervor, Getreide- und Butterberge, aber nur aus Angst vor den Dämonen.

Da erhoben sich die Stimmen der geschundenen Pflanzen, Tiere, Menschen und Götter und weckten Shiva aus seiner Meditation. Der große Gott (Mahadeva), über die Störung leicht verärgert, übergab die Aufgabe lieber seiner Gefährtin und versank wieder im visionären Rausch.

Literaturtipp

Shiva, der wilde, gütige Gott, Shiva, „der Gütige“, ist nicht nur einer der vielen Götter. Er ist der Gott der Götter, der Urgrund alles Seins, die letzte und einzige Wirklichkeit. Die Welt und alle Ihre Geschöpfe entspringen seiner ekstatischen Meditation. Die unendliche, immer wandelnde Vielfalt der Schöpfung ist seine Shakti, seine weibliche Schöpferkraft.

So kam es, dass die Göttin als einfaches Bauernmädchen mit einem Krug auf dem Kopf, durch ein abgelegenes Gebirgstal wanderte. Als die Späher der beiden Dämonenfürsten sie erblickten, waren sie dermaßen von ihrer einmaligen Schönheit beeindruckt, dass sie – in Hoffnung auf Belohnung – ihren Herren sofort von ihrer Entdeckung berichteten. Die gelangweilten Weltherrscher hatten Lust auf ein neues amouröses Abenteuer. Sie befahlen den Boten, die Fremde in den Palast einzuladen. Man würde sie wie eine Königin behandeln und ihr die Schätze der drei Welten – der Himmelswelt, der Erde und der Unterwelt – zu Füßen legen. Die schöne Maid lachte aber nur, als sie das Angebot hörte und antwortete, wie die stolze Brunhilde in der Nibelungensage: „Wer mich freien will, muss mich erst im Kampf besiegen!“

Die Dämonen versprachen dem schönen Mädchen sie wie eine Königin zu behandeln 

Berge

Der Bote wurde nach dieser frechen Antwort zornig. Ob das Fräulein nicht wisse, mit wem sie es zu tun habe? Sie aber lachte nur und ließ sich nicht bewegen. Shumba empörte sich, als er davon hörte. Warum länger fackeln? Er werde ihr schon Manieren beibringen! Er schickte seinen Feldherrn, um das Mädchen zu greifen, ob sie nun wolle oder nicht! Als der Feldherr und seine Schergen sie anfassen wollten, lachte die zarte Jungfrau so laut, dass ihnen die Trommelfelle platzten und sie zu Staub verfielen. Nur einige, die sich nicht so nahe herangewagt hatten, konnten fliehen und von dem Vorfall berichten.

Da schickten die Dämonen ein ganzes Heer, dass man sie in Ketten lege. Sie empfing das Heer, auf einen Esel sitzend, und lachte wie eine Irrsinnige. Plötzlich verwandelte sie sich in eine rasende Bestie, stürzte sich auf die Krieger und verschlang sie wie reifes Obst. Dem Feldherrn trennte sie den Kopf vom Hals und trank sein Blut, wovon sie sich berauschte, sodass ihr die Augen wild glühten.

Nun war Großalarm im Dämonenreich. Alle Teufel wurden zusammengetrommelt und die Verbündeten marschierten auf, dass es wimmelte wie in einem aufgestocherten Ameisenhaufen. Sie verwandelte sich in die löwenreitende Durga und schließlich in die schwarze Kali und – um die lange Geschichte kurz zu machen – vernichtete alle Dämonen; deren Verdienste als Büßer waren aufgebraucht. So ist das Schicksal aller Dämonen! Danach nahm die Göttin ihre liebliche Gestalt wieder an und stieg wieder in den Höchsten Himmel auf. Alle Geschöpfe lobpreisten sie.

„Der Wonne entsprosst alle Schöpfung, durch Wonne wird sie erhalten, zur Wonne bewegt sie sich hin und in die Wonne kehrt sie zurück“

Mundaka Upanishad

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Diskussion

  1. Lieber Wolf,

    es hätten wieder keine besseren Worte gerade jetzt uns erreichen können. Danke, dass du immer “just in time” solche weisen Worte wählst um ins wieder zu erden und die Gedanken zu ordnen.

    Liebste Grüße, Franziska

  2. Es ist eine gute Begegnung diese Bücher zu lesen wirklich Kultur die ein bißchen mehr als notwendig ist

  3. Lieber Wolf-Dieter Storl,
    beantworten Sie auch Fragen? Mich würden noch Details aus der oben genannten Mythologie interessieren. Gibt es eine ausführlichere Version?
    1.) Das Ende ist etwas überraschend und ziemlich schnell abgehakt. Was ist denn nun mit den Dämonen-Brüdern geschehen?
    2.) & was sind “Verdienste als Büßer” – welche die Lebensdauer von Dämonen bestimmt.
    Vielen herzlichen Dank! Lg elli

    • Hallo Elli,

      die Geschichte oben ist Teil des Devi Mahatmyam; im Großen ist es die Mythologie der Göttin Durga.

      Es gibt eine englische Übersetzung des gesamten Textes aus dem Sanskrit unter: https://archive.org/details/TheDeviMahatmyamOrSriDurgaSaptasatiSwamiJagdisvarananda/page/n27/mode/2up?view=theater

      Aber so schön und bildhaft wie Wolf Dieter Storl es erzählt, ist es leider nicht.

      Lieber Herr Storl, hätten sie denn nicht Lust, die gesamte Geschichte in Ihre Worte zu kleiden?

      (Und: Ich persönlich träume ja schon lange von einem Buch von Ihnen, das allein Ganesha gewidmet ist!)

      Alles Gute und vielen Dank für all die wundervollen Zeilen, die sie verfasst haben.

      Om, Sri Ganeshaya namah

  4. Und wieder war es die weibliche Kraft , die das Elend beendete. Ich denke, es sollten überall nur Frauen Präsidentinnen sein. Und sie sollten Kinder und auch Söhne geboren haben. Wer schickt schon seinen eigenen Sohn an die Front?
    “Nein meine Söhne geb ich nicht” singt Reinhardt Mey.
    Heute ist die Welt reich genug, dass alle Menschen in Frieden und ohne Hunger leben könnten und ihre Schöpferkraft zum Wohle der Menschheit einsetzten könnten. Wäre da nicht die Gier und die Gier nach Macht. 🙁 Ich hoffe auf die jungen russischen Soldaten und stell mir jeden Tag vor, daß sie diesen Irrsinn nichtmehr mitmachen und überlaufen und das sich alle verbrüdern. Namaste.

  5. Lieber Wolf-Dieter, du verstehst es, im richtigen Moment die richtigen Geschichten zu erzählen. Vielen Dank dafür!
    Herzliche Grüße Judith

  6. ch staune immer wieder – und freue mich über die wunderbare indische Mythologie. In ihrer Realität agieren neben den Normal-Sterblichen Götter, Göttinen und Dämonen. Für einen aufgeklärten Menschen unserer Kultur mag das schön sein, oder phantasievoll; aber es ist eben oft „nur Mythologie“.
    Bei diesen Mythen denke ich auch immer an die vielen uralten versunkenen Städte auf indischem Boden (vielleicht die ältesten „Großstädte“ der Menschheit): Verschüttet unter Wüstensand am Ufer eines vor Jahrtausenden ausgetrockneten unbekannten Stromes, oder vom Meer überflutet vor der Küste des Subkontinentes, oder vom Dschungel überwuchert und vergessen.
    Alt genug ist die indische Kultur auf jeden Fall, dass diese hier erzählte Geschichte auch auf eine von Westlern zugängliche Realität und Kausalität beruhen kann.
    Aber erzähle einmal einem modernen westlichen Politiker diese Geschichte als ernsten Kommentar zur Gegenwart. Er wird damit nichts anfangen können und nur Spott empfinden.

    Auch in diesen indischen Mythen gewinnen am Ende immer die Guten, sodass wir erleichtert sind; und auch die „Dämonen“ brauchen erst einmal keine Angst zu haben, denn die Zeiträume in denen die Götter handeln gehen weit über unsere individuelle Lebenserfahrung hinaus.
    Am Ende siegen die Götter, aber für sie sind die 500 Jahre (oder mehr?) nur ein Moment, aber für viele Menschen wird es ihr ganzes Leben sein und die ganze bewusste Historie.

    Ist es tröstlich, wenn selbst die Worte des mächtigen und weisen Gottes Brahma die Dämonen nicht bewegen konnten? – Wenn auch unsere heutigen Worte nichts Entscheidendes mehr bewegen können? …
    Trotzdem danke auch ich Ihnen für diese wundervolle Geschichte.

  7. Lieber Herr Storl, vielen Dank für Ihre Unterstützung!

  8. Danke lieber Herr Storl vielen Dank für diese wunderschöne indische Sage….

    Ja Shiva ist da … wir dürfen vertrauen – auch wenn noch nicht alle sie erkannt haben… aber das Licht wird
    größer. Namaste !

  9. Danke, lieber Wolf-Dieter,
    diese Geschichte ist genau, was ich heut gebraucht hab!
    Liebe Grüße, Trude, die grad ab und zu an den Menschen ver-zweifelt 🙂

    • Gegen solche Dämonen führt der Weg über Kali …
      Auf geht’s zu Shiva, alle mitkommen!

  10. Herzlichen Dank Herr Storl für diese Geschichte, die den aktuellen Zeitgeist vollends trifft.
    Auch die dunklen Fürsten dieser künstlichen Weltenmatrix werden bald erkennen, dass ihr Stolz, Hochmut und ihre Arroganz sie ganz tief fallen lässt….Das kosmische Gesetz der Resonanz! …. welches auch für dieses bösartige Gesindel gilt.

    “Mother earth is calling for truth and justice!”(XavierRudd-australischer Folk-Sänger mit indigenen Wurzeln)

  11. Sehr geehrter Herr Storl!
    Herzlichen Dank aus ganzer Seele für Ihre Beiträge!
    Wichtiger denn je!!!! Wunderbar passend, die Geschichte mit dem stolz der Dämonen. Offensichtlich wird es Zeit, daß ” die junge hübsche Maid” sich auf denWeg macht!!! Hoffentlich ist sie schon losgegangen.
    Vielen Dank für Ihre weisen Worte, Ihren Weckruf und Ihr Sein. Segen für Sie, Mutter Erde, Ihre Geschöpfe und die Geistige Welt! OM SHANTI

  12. .. eine wunderbare Geschichte, die so treffend für die heutige Zeit ist, denn es kommt mir so vor, als sei die Menschheit paranoid, von Dämonen besessen , der Angst alles zu verlieren, was ihnen Sicherheit gab bzw. gibt und identifiziert mit dem Weltbild, umgeben von Feinden zu sein, im Besitz DER WAHRHEIT”.
    Herzlichst
    Clea von Döhren


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1. Juni 2024 um 19:00 Uhr