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Der heilige Nikolaus und sein Urbild

In der byzantinischen Kirche, in Ostrom (Konstantinopel) und folglich in den slawischen Ländern, wurde Nikolaus zum allerwichtigsten Heiligen. Er ist der Schutzpatron von Russen, Kroaten und Serben. In Mitteleuropa, insbesondere im Rheinland, bürgerte sich die Nikolaus-Verehrung erst im 10. Jahrhundert ein. Dafür war die griechisch-orthodoxe Gemahlin von Kaiser Otto II. verantwortlich.

Was poltert auf der Treppe,
was poltert im Haus?
Es ist gewiss, ich wette,
der heil’ge Nikolaus!

– DICHTER UNBEKANNT

Der Weg des uralten Logos

Beim Weihnachtsmann, dem alten, weißbärtigen, weisen, gabenbringenden Geist des Winters, haben wir es wieder einmal mit einem Urbild, einem Archetypus zu tun. Wenn das Jahr zur Neige geht, kommt er von weit, weit her, um Haus und Hof und vor allem die Kinder zu segnen. 

Nach Carl Gustav Jung, dem großen Schweizer Seelenforscher, personifiziert dieser Archetypus den aus der Dunkelheit hervortretenden Logos, der in die Herzen der Menschen schaut und prüft, ob sie gütig oder hartherzig sind. Dieser Alte wohnt weit abgelegen im Verborgenen – im tiefen Wald, in der menschenleeren Taiga, auf einem verschneiten Berg oder am Nordpol –, und zur Zeit der Wintersonnwende, wenn die Geisterwelt der Menschenwelt ganz nahe rückt, bringt er seine Gaben: Weisheit, guten Rat und Segen für das Jahr. Diese geistigen Gaben werden in den Mythen dann symbolisch greifbar gemacht:

Es sind die süßen roten Äpfel, die Nüsse, das Gebäck und die anderen in Buntpapier eingewickelten Weihnachtsgeschenke.

Der Archetypus des alten Weisen bahnt sich seinen Weg in die Bilderwelt fast aller Kulturen: Bei den Indern sind es die weißbärtigen Risis oder der Schöpfergott Brahma; in Teilen des nördlichen Europas ist es eine Erscheinung des weisen Zauberers Odin; bei den Kelten ist es Merlin, der Zauberer, der mit einem Wolf und einem Hirsch im Eichenwald haust und der als Ratgeber und Lehrer an der Tafelrunde König Artus’ erscheint. Im alten China begegnet er uns in der Gestalt eines Laotse, dessen Name »alter verehrter Meister« bedeutet und der uns lehrt, dass das Universum in sich harmonisch ist und keiner Kontrolle oder erzwungener Verbesserung bedarf. Es heißt, Laotse kam schon als Greis mit weißem Bart und runzeliger Haut zur Welt.

Egal, in welchem Zeitalter man lebt, immer wieder begegnet einem dieser Archetypus.

Auch in Europa erscheint der »liebe Gott« in der schlichten Vorstellung des einfachen Volkes wie auch bei den großen Malern, die im Auftrag der Kirche den Schöpfer auf diese Weise darstellten, als gütiger, weißbärtiger alter Mann, der fern im Himmel, auf den Wolken lebt. Sogar in unserer technokratischen Postmoderne erkennt man den Archetypus wieder, wo er unter anderem als Santa Claus oder in J. R. R. Tolkiens populärem Werk Herr der Ringe als Gandalf erscheint. Die christliche Version des segenbringenden alten Weisen ist der heilige Nikolaus.

Vom Opferbrot zum Festgebäck

Am 6. Dezember, dem Tag des Nikolaus, werden vielerorts Teigmännchen gegessen. Das Hefegebäck sieht oft aus wie ein dickbäuchiger Zwerg mit spitzer Zipfelmütze – eigentlich soll die Mütze die Mitra, die Kopfbedeckung der Bischöfe, darstellen. Der Teigmann hat Rosinenaugen und -knöpfe. Fast jede Region benennt ihn anders: Er ist der Klausenmann im Bodenseeraum, der Stutenmann oder Stutenkerl in Norddeutschland, das Weckmännchen in Ostdeutschland, das Boxenmännchen in Luxemburg, der Krampus in Teilen Österreichs und Bayerns, der Buikman oder Wekkeman in den Niederlanden, der Manele im Elsass, der Dambedei in Karlsruhe und Jean Bonhomme in Frankreich. Das Männlein ist ein symbolisches Opfer. Es gibt noch andere regionale Bezeichnungen für das Teigmännchen. Auf einem Bauernhof im Emmental lernte ich am Nikolaustag das Teigmännchen als Grittibänz kennen.

Volkskundler sprechen bei diesem Brauchtumsgebäck von einem »Gebildbrot«. Solche Gebildbrote sind alte europäische Tradition, schon in heidnischen Zeiten buk man Brote in der Gestalt von heiligen Tieren oder Göttern. Die Christen nahmen die Idee auf: Brezeln, eine Speise der Fastenzeit, sollen die verschränkten Arme betender Mönche darstellen. Das aus Kuchenteig gebackene Osterlamm stellt den Heiland als Opferlamm (Agnus Dei) dar und der Dresdner Stollen symbolisiert das süße Christkind als Wickelkind. Der Spekulatius, das flache, leckere Gebäck aus gewürztem Mürbeteig, ist eine besondere Form der Gebildbrote, mit Abbildungen von Menschen, Tieren, Bauernhöfen, Schiffen, Windmühlen und dergleichen.

Literaturtipp: Die Magie der Sonnenwenden

In meinem Buch “Die Magie der Sonnenwenden” führe ich euch zum natürlichen Ursprung unserer Kultur zurück und erzähle in spannenden Geschichten, woher die Bräuche und Sagen über unsere Pflanzen stammen.

Die Magie der Sonnenwenden

Das Fest der Kinder

Der Nikolaustag ist vor allem ein Tag der Kinder. Am Abend vorher wichsten die Kinder fleißig ihre Schuhe und Stiefel und stellten sie vor die Tür. In England hängt man auch die Socken an den Kamin, denn man weiß, dass Old Saint Nick um Mitternacht durch den Rauchfang, den Schornstein, ins Haus gefahren kommt und dann Schuhe und Socken mit Lebkuchen, Zuckerzeug, Nüssen und Äpfeln füllt. Manchmal tut er auch einige Kupfermünzen (Pfennige) mit hinein. Aber nur bei den guten Kindern, deren Schuhe sauber glänzen. Hier und da klopft der Nikolaus auch an die Tür, wie wir in diesem Kinderreim aus Bremen hören:

Sünnerklaas, de grode Mann,
kloppt an alle Dören an.
Lüttje Kinner gifft he wat,
grode Kinner steckt he in’n Sack.
Halli, halli, hallo,
so geiht dat in Bremen to.

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