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Kräuter sammeln im August

Der August ist der heißeste Monat des Jahres.[1] Diese Hochsommertage sind die beste Zeit, heilkräftige Kräuter zu sammeln. Denn um ätherische Öle und andere kraftvolle Wirkstoffe zu bilden, brauchen die Kräuter heißes, trockenes Wetter und viel Sonnenlicht. Aus diesem Grund, übrigens, bringen die mediterranen Landschaften, wie die Provence, so viele aromatische Heilpflanzen – Thymian, Lavendel Salbei, Rosmarin – hervor.

„Was der August nicht kocht, kann der September nicht braten."

Bauernspruch

Maria Würzweih

Es ist also auch kein Zufall, dass in Nordwesteuropa das wichtigste Fest der Kräuterfrauen, die Kräuterweihe (Würzweih, Büschelfrauentag) in die Mitte des heißen Erntemonats fällt, und zwar auf den 15. August. An diesem Tag, so glaubten die Christen, hätte Maria die Erde verlassen und sei in den Himmel gefahren; ihre Segens- und Heilkraft hätte sie in Form von Heilkräutern hinterlassen.[2]  

Hochsommertage sind die beste Zeit, heilkräftige Kräuter zu sammeln

Wolf-Dieter Storl Kräuter sammeln

An diesem „Großfrauentag“ seien die Kräuter besonders heilkräftig. Es sind Pflanzen, die als Tee, Abkochung, Salbe oder Umschlag nicht nur gegen diese oder jene spezifische körperliche Beschwerde oder Krankheit zum Einsatz kommen, sondern auch Zauberpflanzen und Räucherkräuter, die gegen Gewitter und Behexung verwendet wurden, oder solche, die die Liebeslust der Männer anregen. Früh am Morgen holten die Frauen diese Pflanzen, pflückten sie von Hand, ohne metallene Messer zu benutzen, und ohne dabei zu reden.

Salbei

Salbei (Salvia

Neun Kräuter sollten es sein – das ist als magische Zahl 3 x 3 zu verstehen – oder auch 33 oder gar 99. Welche Heilkräuter gesammelt wurden, war von Gegend zu Gegend verschieden. Je nach Region hatten die Büschel andere Namen: Neun Kräuter hießen sie in Köln; ansonsten im Rheinland war es der Wurzwisch, der Sangen am Niederrhein, der Riecher in Limburg, der August-Maien in der Schweiz, anderswo waren es die Dreißiger Kräuter, der Kräuterboschen oder der Kräuterbüschel. Diese wurden zu schönen Sträußen gebunden und in die Kirche, am liebsten in eine Klosterkirche oder eine Totenkapelle, gebracht, wo der Priester sie mit Weihwasser und guten Worten segnete.

Die Königskerze

Meistes bildete eine hohe, blühende Königskerze die Mitte des Straußes. Dieses „Zepter der Mutter Gottes“, in Bayern auch Himmelsbrand genannt, galt als besonders heilkräftig. Mit dem, mit Weihwasser besprengten Königskerzenstängel, konnte die Heilerin Körperteile der Kranken berühren oder damit über sie ein Kreuz schlagen und den Spruch aufsagen.

Unsere liebe Frau geht über das Land,
sie trägt den Himmelsbrand in ihrer Hand.

Eine Handlung, die viele Spontanheilungen zur Folge gehabt haben soll. Ansonsten wurde – und wird noch immer – die Königskerze als Mittel bei Katharren, Husten, Nebenhöhlenentzündung und Hämorrhoiden verwendet.

Die kleineren Kräuter wurden um den Königskerzenstab herum gruppiert. Immer dabei war die Schafgarbe, die praktisch als Allheilmittel gilt und zu Orakelzwecken verwendet wurde. Liebstöckel (Maggikraut) durfte auch nicht fehlen, denn es „erwärmt den Unterleib“ und regt zur sinnlichen Liebe an. Rainfarn, Baldrian und Dill waren auch meistens dabei. Die ganz kleinen Kräuter, wie Kamille, Quendel, Labkraut oder Gundermann bildeten den äußeren Rand des Straußes. Und immer gab es Frauen, die heimlich „böse Kräuter“, wie etwa die Donnerkugel (Stechapfel) oder die Tollkirsche mit in den Kräuterwisch taten und mitsegnen ließen.

Königskerze (Verbascum)

Königskerze (Verbascum)

Kräutersammelfest als Ritual

In früheren Zeiten war das Kräutersammelfest kein leeres Ritual. Die Würzweihkräuter waren – neben den zur Sommersonnwende gesammelten „Johanniskräutern“ – die praktische Apotheke für Haus und Stall. Nach der Weihung wurden die Kräuter auf den Dachboden zum Trocknen aufgehängt. Einige kamen in den „Herrgottswinkel“ in der Nordostecke der Stube, dem Hausaltar mit Kruzifix oder Heiligengestalt. Dort würde ihre Heilkraft noch weiter potenziert. Einige der Kräuter wurden dem Vieh ins Futter getan oder dem Saatgetreide beigemischt; einige der heiligen Pflanzen tat man sogar den Toten mit in den Sarg; gegen Hagelschlag und Feuerbrunst hängte man wiederum andere unter dem Dachfirst.

Literaturtipp "Kräuterkunde"

Gegen jede Krankheit ist ein Kräutlein gewachsen: Deutschlands führender Pflanzenexperte Wolf-Dieter Storl stellt auf bekannt unterhaltsame Weise die ältesten und universalsten Heilmittel der Menschheit vor.

In abgelegenen Regionen – wie hier im Allgäu – wird die Kräuterweihe noch immer gefeiert, anderswo erlebt sie eine Renaissance. Aber oft ist diese Brauchtumspflege ein leeres Ritual. Wenn jemand wirklich krank ist, dann greifen die Hausfrauen selten auf die Heilkräuter im Kräuterwisch zurück, sondern gehen in die Apotheke oder lassen sich ein pharmakologisches Präparat vom Arzt verschreiben. Auch gibt es einen Wettbewerb unter den Frauen, wer den schönsten Strauß gemacht hat.

Maria Himmelfahrt

Maria Himmelfahrt, der „Großfrauentag“, ist der Anfang der sogenannten „Frauen Dreißiger“. Diese Hauptsammelzeit der Heilkräuter, erstreckt sich bis zum „Kleinfrauentag“ oder Maria Geburt am 8. September. Während dieser Zeitspanne seien die Pflanzen, dank der Mutter Gottes, besonders heilkräftig.

Die Kräuter werden für den Winter getrocknet 

Ackerschachtelhalm

Volkskundler sind sich sicher, dass die Würzweih ein sehr altes Fest ist. Es gehörte sicherlich mit zu den Erntefesten der alten indigenen, heidnischen Völker. Der Missionar Winfried, genannt Bonifatius, der „Apostel der Deutschen“, hatte versucht derartige Bräuche auszulöschen. Im Jahr 743 berief er die Kirchensynode zu Liftinae ein, um seine Missionare über die abscheulichen Bräuche der Heiden aufzuklären, darunter das Verehren der Bäume, das Schmücke von Brunnen, das Deuten des Vogelflugs … und die Kräuterbündel (petenstro), die der Göttin geweiht waren.

Da viel heidnisches Brauchtum sich einfach nicht ausrotten ließ, wurde es im Laufe der Zeit christianisiert; schon im 9./10. Jahrhundert gibt es Hinweise für die kirchliche Kräuterweihe. Die Mönche fabulierten, die Kräuter seien die Blumen, die in der Gruft anstelle von Marias Leichnam gefunden wurden.

Altes indoeuropäisches Brauchtum

Dass wir es tatsächlich mit altem indoeuropäischem Brauchtum zu tun haben, wurde mir in Nordindien klar. Dort wird im Herbst nach dem Einbringen der Sommerernte das zehntägige Fest Navratri gefeiert. Es heißt, die Göttin besucht, in den zehn Tagen, die Hütten und Häuser der Menschen. Mit Festlichkeiten, Schmaus und Gesang wird sie, wie eine nach Außen verheiratete Tochter, die ihre Familie besucht, aufgenommen. In den ersten drei Tagen erscheint sie in der Gestalt der jungfräulichen, weißen Göttin Saraswati; in den nächsten drei Tagen offenbart sie sich als Lakshmi, die rot gekleidete Göttin des Glücks, und zuletzt als die goldene, löwenreitende Durga, die alle Dämonen des Lugs und des Trugs vertreibt. Und am letzten Tag wird Navapatika, das Fest der „Neun Blätter“ gefeiert. Wie bei Mariawürzweih, sammeln die Frauen „neun“ Kräuter, also sämtliche, die sie zum Heilen und Segnen von Mensch und Vieh verwenden.

An diesem Tag werden die liebevoll geschmückten Statuen der Göttin durch die Straßen getragen und dann im Fluss, Teich oder im Meer versenkt. Das symbolisiert ihre Rückkehr in die spirituelle Welt, ihre Heimkehr zu ihrem Gatten Shiva. Als Ausdruck ihrer Liebe und Heilkraft hinterlässt sie die Heilpflanzen. Unter ihnen befindet sich immer die wundheilende, verdauungsfördernde, reinigende Gelbwurz (Kukurma), die antibakteriell wirkende, hepatoprotektive Samtpappel (Abutilon indicum), die inzwischen als Neophyt in den Maisfeldern Amerikas und Südeuropas wächst, der Koriander, der bei Störungen der Verdauung und der Harnorgane Anwendung findet, das Heilige Basilikum (Tulsi) und viele andere.[3]

Auch in der heutigen Zeit macht es Sinn, sich an die Rhythmen des natürlichen Kalenders zu halten und den August zur Kräutersammelzeit zu machen.

 

[1] Bei uns im Allgäu war es bis jetzt den ganzen Sommer ungewöhnlich kalt und nass. Da fällt es schwer zu glauben, dass der August der heißeste Monat des Jahres sein soll. Aber normalerweise ist das so. 

[2] Mehr zum Thema findet der Leser in meinem Buch Pflanzendevas (AT-Verlag, 2014)

[3] Über die Ethnobotanik der heiligen Pflanzen Indiens kann der Leser mehr erfahren in meinem Buch Einsichten und Weitblicke (AT-Verlag 2020; Seite 50-60). Diese Pflanzen sind auch Gegenstand der ethnobotanischen Filmreise Rückkehr an den Ganges (2013); Produzent Ingo Storl, Regisseurin Johanna Michna.

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Diskussion

  1. Freue mich auf laufende Informationen😊

  2. Ich schaue schon seit längerem alle im Internet verfügbaren Vorträge und sonstigen Videos von Wolf-Dieter Storl, habe inzwischen schon einige seiner Bücher und CD’s gekauft. Kein einziges Mal wurde ich enttäuscht, ganz im Gegenteil. Es ist immer wieder eine Freude und Bereicherung ihm zuzuhören oder seine Schriften zu lesen. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, erfährt und lernt noch viel mehr. Ein guter Freund von mir war wirklich schwer an Borreliose erkrankt. Ärzte, Heilpraktiker und Masseure konnten ihm nicht wirklich helfen. Inzwischen hat er sie auskurieren können. Dank eines Buches von Herrn Storl. Ich hoffe es entstehen noch viel mehr Niederschriften, Hörbücher usw. Vielen Dank dafür.


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Vortrag

1. Juni 2024 um 19:00 Uhr