Die Wegwarte – Eine starke Heilpflanze
- 21. Juli 2025
Wer kann an der Wegwarte, der wilden Zichorie (Cichorium intybus), vorbeigehen, ohne sie zu bewundern? An sonnigen Weg- und Feldrändern, auf harten, ausgetrockneten Böden steht sie, reckt sich über einen Meter in die Höhe und richtet ihre zarten, himmelblauen Blüten zur Morgensonne. Manch einer hat sich ein Sträußchen im Vorbeigehen gepflückt; als er aber zu Hause ankam, waren die schönen Blüten allesamt verschwunden.
Der Blumenfreund hätte wissen müssen, dass die Wegwarte einen ganz bestimmten Zeitrhythmus einhält: Morgens, gegen sechs Uhr, öffnet sie ihre kurzlebigen Blüten; gegen elf Uhr schließt sie diese wieder. Bedecken dunkle Wolken die Sonne, dann öffnet sie ihre Blütenköpfchen überhaupt nicht. Sie fängt nach der Sommersonnenwende zu blühen an, wenn die Tage wieder kürzer werden. Um die Herbst-Tagundnachtgleiche, wenn die Sonnenkraft schwindet, haben die letzten Blüten ausgeblüht.

Die Pflanze gibt sich völlig der Sonne hin. Der Alchemist Albertus Magnus nennt sie mit Recht die „Sonnenbraut“. Die Volkssage macht sie zur verwunschenen Prinzessin, die mit ihren blauen Augen ständig nach Osten hin Ausschau hält, den Weg hinunter, den ihr Ritter nach Jerusalem zog. Eine andere Sage erzählt von einer Jungfrau, die sieben lange Jahre um ihren im Krieg gefallenen Freund trauerte. Als man sie drängte, endlich einen anderen zu wählen , erwiderte sie:
Eh als ich lass das Weinen stehn,
Will ich lieber auf die Wegscheid gehn.
Eine Feldblum‘ dort zu werden!
Diese Blume erzählt also von Liebe, die nicht loslässt – im gewissen Sinn aber auch von Selbstmitleid oder gar Egozentrik. Die sparrigen, dürren, fast blattlosen Stängel, an denen die Blütenköpfe unmittelbar sitzen, bringen die ausgezehrten Gestalten jener Menschen in den Sinn, die vor lauter Sehnsucht dahinschmachten.
Erscheinen die blauen Blüten auch wie ein Sinnbild langmütiger Geduld, so steckt in ihnen dennoch eine unerwartete Regsamkeit, eine gespannte Ungeduld. Bei der leichtesten Berührung durch ein Insekt, verkürzen sich augenblicklich die Staubfäden. Der Blütenkelch ist so eng , dass durch diese Reaktion die Pollenkörner aus den Staubbeuteln herausgedrückt werden. Ein wenig „animalische“ Sensitivität finden wir also auch in dieser Blüte.
In der altüberlieferten Blumensprache heißt es: „Wie die Wegwarte immer zur Sonne dreht, so lasse ich mich durch nichts von Dir ablenken, mit Herz, Leib und Seel Dir die Liebe schenken!“ Eine Augsburger Nonne aus dem 15. Jahrhundert schreibt, dass derjenige der Wegwarte trägt, damit sagen will, „dass er nicht auf den Weg kommen kann, der seinem Lieb gefällig sei, und dass er begehrt, diesen gewiesen zu werden.“
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Ein tolles Lebermittel
Die astrologischen Kräuterärzte erkannten in der Zichorie die Signatur von Jupiter und Saturn. Aufgrund der löwenzahnähnlichen Blätter und der milchhaltigen Pfahlwurzel glaubte man einst, sie sei ein verwandelter Löwenzahn (eine Jupiterpflanze par excellence) – tatsächlich gehört dieser zur gleichen Unterfamilie, den Cichorioideae. Culpeper schreibt: ,,Chicory bewegt die phlegmatischen Humore, treibt Blockierungen von Leber (Jupiterorgan), Galle und Milz (Saturnorgan).”
Unten im Tal steht der Schwarzdorn (Schlehe) schon in Blüte. Das schwarze, dornige Holz der Schlehe ist plötzlich in eine schneeweiße Blütenpracht getaucht. Für die Kelten war es ein Zeichen, dass die dunkle Göttin des Winters sich nun in eine Lichtgöttin verwandelt hatte. Bei bei den Germanen hieß die junge Göttin Ostara (angelsächsisch Eostrae).
Ihr Name geht auf das urgermanische *austron zurück und bedeutet etwa „aus dem Osten kommendes, strahlendes Morgenlicht“. Frühlingsfeuer begrüßen die Göttin, Frauen sammelten nun die „neun“ Frühlingskräuter; es war eine der Göttin geweihte Kultspeise, die mit der grünen Kraft des Lebens verbindet. Schon in vorchristlichen Zeiten bemalte und verzierte man die frischen Eier, und die Hasen symbolisierten die hereinbrechende Lebensfreude und Fruchtbarkeit.
Tatsächlich ist ein Aufguss des Krautes ein nicht zu übertreffendes Lebermittel. In der Homöopathie ist Cichorium als Leber-, Milz- und Blutreinigungsmittel angezeigt, und in der Spagyrik – einer aus der Alchemie hervorgegangene Medizinrichtung – gelten Cichorium-Präparate ebenfalls als Heilmittel bei Leber-, Milz- und Magenstörungen, sowie bei Gallensteinen.
Aber noch stärker als Jupiter wirkt Saturn in dieser Pflanze. Der Planet offenbart sich in der blauen Blüte, in den sparrigen Stängeln, deren Grün leicht grau getönt ist, und in dem bitteren Geschmack, der die Wurzeln und Blätter durchzieht. Das Bittere schmeckt man noch in dem aus gerösteten Zichorienwurzeln hergestellten Ersatzkaffee. Dem Wintersalat, dem Brüssler Chicoree (Witloof), der nichts anderes ist als die sprossende Hauptknospe der Wegwarte im Winterstadium, hat man die Bitterkeit durch Lichtentzug genommen. Die jungen weißen Blätter verharren noch im einem zarten „mondhaften“ Zustand; sie haben ihre saturnische Eigenart noch nicht entwickeln können.