Was bedeutet Wolfsmedizin?
- 19. September 2018
Wölfe sind zu Hause in der Wildnis, am Rande der Menschenwelt. Sie haben die Reinheit und Kraft der wilden, unverdorbenen Natur; sie sind Grenzgänger. Ein wirklicher Heiler ist ebenfalls ein Grenzgänger, einer, der über die Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen hinausgeht. Er muss ein solcher sein, denn Krankheit und Wahnsinn, Tod und Fortpflanzungstrieb, sie lassen sich nicht durch die Gebote der Rationalität und Ethik eingrenzen.
Unser Abwehrsystem muss gestärkt sein
Heute in unserer entzauberten Welt, in der Sicherheit und Berechenbarkeit oberste Priorität haben, haben wir vergessen, dass die wilden, nicht zähmbaren Kräfte der Natur (und die der tiefen Psyche) auch das Potenzial der Vitalität, Fruchtbarkeit und Heilung in sich tragen. Es ist die Kraft der Wildnis, die immer wieder in die erstarrte, geordnete, zivilisierte Welt hereinzubrechen droht, sie aufwirbelt, energetisiert und dadurch Neues – auch Heilendes – ermöglicht.
Schamanen, Medizinleute und Kräuterweiber
Bei den kleineren, ursprünglicher lebenden Jäger- und Sammlervölkern fand die Berührung mit den Geistern der wilden Natur eher auf einer individuellen Ebene statt. Die Schamanen und Schamaninnen, die indianischen Medizinmänner und -frauen, auch die indischen Sadhus und Sadhvis gehen auf Visionssuche in die Einsamkeit. Der Gang auf den hohen, schwer zugänglichen Berg oder – wie bei den irischen Kelten – auf eine kleine sturm umbrauste Insel ist zugleich ein Gang in die dunklen Gründe der eigenen Seele. Dort, wo harte Askese, Fasten und Wachen das Ego dämpft und die Ekstase (griechisch ekstasis, »das Außer-sich-Geraten«) ermöglicht, dort wo sich die Grenzen zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Wildnis und Kulturland verwischen, finden sie das »Loch in der Zeit«; dort begegnen ihnen ihre Hilfsgeister – Adler, Bären, Wölfe, Hirsche, Schlangen – und schenken ihnen die notwendigen heilenden Visionen. Und gerade weil sie außerhalb der Ordnung stehen, können sie die ursprüngliche Ordnung erkennen und damit aufrecht erhalten (Duerr 1978:52).
Indianischer Medizinmann

Schamanen, Medizinleute und Kräuterweiber kennen sich in der Wildnis, dem finsteren, schwer zugänglichen Wald, der einsamen Heide und den schroffen Bergen gut aus, ebenso wie in den Tiefen der inneren Seelenlandschaft. Sie vermögen es, die Gegenden jenseits des schützenden Hags, der die kleine Insel unseres domestizierten Daseins einhegt, zu bereisen. Sie haben selbst so etwas wie eine Wolfsnatur. Es gibt mittelalterliche Darstellungen von Hexen (Schamaninnen), die auf Wölfen reiten. Da ist es kein Wunder, dass ein Schamanengott wie Odin/Wodan, der die Heilkräuter und Zaubersprüche kennt, Wölfe als Begleiter hat. Auch eine schamanische Persönlichkeit wie Johnny Appleseed, der im amerikanischen Siedlergrenzland unterwegs war, wurde von einem Wolf begleitet, den er aus einem Fangeisen befreit hatte. Viele indianische und sibirische Schamanen haben Beziehungen zum Geist der Wölfe; bei meinem Freund Bill Tallbull war es ein Steppenwolf, der ihm bei seiner Visionssuche erschien und ihm seine Lebensaufgabe als Medizinmann und Botschafter zum »grünen Volk« (Pflanzen) wies.
Der Wolf
Wölfe verkörpern die Urkraft von Freiheit und Abenteuer – sagt der Schweizer Künstler Peter Schneider. Es ist die Freiheit, vor der sich viele Schafsnaturen, die einen Hirten brauchen, fürchten. Eine Begegnung mit dem Wolf steht für Wandlung, für seelische Metamorphose. Psychoanalytiker finden in der Wolfssymbolik die finstere Seite des Unbewussten, den Ort unserer Urängste, den uns ständig folgenden »Schatten« (Zerling/Bauer2003:324).Diesen zu konfrontieren, anstatt ihn zu fliehen, bringt Heilung. Die grimmigeInitiation der echten Schamanen besteht darin, den inneren Wolf, den Verwandler, die angsterregende Seite des Seins kennenzulernen, sodass sich die göttliche Ganzheit manifestieren kann. Der Wolf steht auch für sichere Instinkte. Auch die braucht ein Heiler,nicht nur angelesenes Kopfwissen.
Literaturtipp "Wolfsmedizin"
Es ist nicht meine Absicht, hier noch ein weiteres ethnografisches Werk hervorzubringen, sondern einen Blick auf die Heilpflanzenkunde und die schamanischen Heilmethoden der Sibirier und Mongolen zu werfen, denn diese gewähren Einsichten in die zirkumpolare Heilkunde der Großwildjäger der jüngeren Altsteinzeit. Warum ist das interessant? Zu einem, weil das auch unsere ältesten therapeutischen Wurzeln sind, wie auch die der nach Amerika gewanderten Paläosibirier, aus denen die Indianer hervorgegangen sind.
Die Reise nach Sibirien und die Mongolei

Die Mongolei
Sehr geehrter Herr Storl,
eigentlich bin ich ein Fan von Ihnen. Ihr Wissen und Ihre Weisheit schätze ich auf vielen Gebieten sehr. Trotzdem werde ich hier nicht mit den Wölfen heulen.
Habe Ihr Buch noch nicht gelesen, werde es beizeiten noch nachholen. Der folgende Kommentar ist einfach meine Meinung zur allgemeinen neuen Wolfsverehrung.
Was Ihre persönliche Begeisterung für die Wölfe angeht, so ist mir das teilweise, auch wegen Ihres Vornamens, nachvollziehbar. Natürlich gibt es die wilde, ungebändigte Urkraft allen Lebens. Doch diese steht der Kultur gegenüber, die auch immer ein bewusster Kampf darstellt.
Idealerweise klingt es natürlich so: “…Spirit and nature dancing together, victory to spirit and victory to nature…”(song von Yogananda) Ja, wenn man das schafft, hier ein harmonisches Gleichgewicht zu finden zwischen Natur und Kultur, Yin und Yang, Plus und Minus, dann ist das sicher ideal und lebensförderlich auf allen Ebenen , eine Win – Win Situation, in der sich die Gegensätze befruchten. Der Mensch ist eben nun mal nicht nur ein Naturwesen, sondern das spezifisch Menschliche ist der kulturschaffende Aspekt. Tier hat das nicht. Auch wenn wir es nicht schaffen, die Erde in ein Paradies zu verwandeln, so bleibt uns als Menschnwesen doch nichts anderes übrig, als fortwährend daran zu arbeiten.
Unsere Vorfahren waren nicht alle dumm, als sie die Gefahr durch den Wolf, sowohl auf unbewusster Ebene (unerlöster Schatten) als auch in der realen Menschenwelt erkannten. Märchen und Mythen erzählen davon. Es ist die Sache des kulturschaffenden Menschen, diese Gefahren für Schwächere einzugrenzen. Oder würden Sie Kinder in einem Wald spielen lassen, in dem man Wolfsrudel heulen hört? Können Alte und Kranke zur Erholung in Wäldern, die von Wölfen bevölkert sind, spazieren gehen? Sie meinen vielleicht, diese Menschen sollen sich eben Ihrer persönlichen Angst vor ihrem unerlösten Schatten stellen? Ganz ehrlich: Schatten hin oder her( doch, ich weiß wie wichtig die Erlösung des eigenen Schattens ist), selbst würde ich als alte oder schwache Person nicht mehr in einem solchen Wald Erholung suchen.
Ja, die Schafe. Die sind nun die Dummen. Das waren sie immer schon? Was ist mit dem Bild vom “Lamm Gottes” ? War Christus ein Schaf? Okay, wir könnten ihn nun “Wolf Gottes” nennen? Passt das Bild so besser? Was ist mit dem Blutrausch, dem der verehrte Wolf zuweilen verfallen kann? War Christus, die Kultfigur, der Kulturträger in Reinform, nun schwach oder stark? Welche Art von Stärke? Lamm Gottes? Wolf Gottes? Was passt?
Für wen sollten wir unser Leben hingeben, wenn wir die Wahl hätten, für Christus oder für den Wolf? Wer ist heute relevanter?
Waren unsere Vorfahren schwach und dumm, wenn sie unsere Wälder in einen Kulturort zur Erholung auch schwacher und alter Menschen verwandelt haben?
Heute war ich im Schwarzwald. Rundum Wälder. Schön. Einladend? Die Menschen, die dort leben, haben zwar einstweilen mal erst nur einen Wolf gesehen. Aber sie sind nicht begeistert von der Vorstellung wachsender Wolfsrudel. Besonders die Schaf- und Ziegenhirten dort nicht. Müssen die halt jetzt, Kosten hin oder her, noch mehr Schutzmaßnahmen ergreifen? Sind sie vielleicht Schafsnaturen? Wer ist schützenswerter: Wolf oder Schäfer samt Herde? Sind Schwache jetzt nicht mehr schützenswert?
Wie ich die Sache auch anschaue: Mitzuheulen im Rudel würde mir heute mehr Anerkennung verschaffen. Aber ich weiß nicht recht. Mein Instinkt sagt mir, dass da etwas faul dran ist. Darum werd ich jetzt doch nicht in solchen Wäldern Ferien machen, in denen es bereits Wolfsrudel gibt. Da kommt bei mir keine natürliche, entspannte Ferienstimmung auf.
Ja, jetzt erkenne ich rückblickend, welches Paradies wir Menschen uns doch geschaffen hatten, als man noch ganz unbeschwert in Wäldern Erholung suchen konnte!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Lieber Wolf,
am Sonntag, als der Sturm über das Land und die Dörfer hinwegfegte, begann ich dein Buch zu lesen. Wolfsmedizin. Im Traum bekam ich ein Steppenpferd zum Hüten und die Frauen der Mongolei nahmen mich unter ihre Fittiche… – wieder erwacht kam die Erkenntnis, dass Zeit nur ein Hilfsmittel zur Wahrnehmung ist. In Wirklichkeit ist immer alles da und wir können jederzeit überall hin reisen.
Ich freue mich schon auf’s Weiterlesen…
Danke Dir und liebe Grüße,
Christine
Wölfe gibt es mittlerweile auch bei uns in Österreich. Im Wald- u. Mühlviertel ist das Wolfsgeheul zeitweise wahrzunehmen. Könnt gerne eine Reise zu uns machen um diese Energie zu spüren.
Lieber Wolf Dieter
Heute konnte ich mir Wolfsmedizin aus der Buchhandlung abholen. Die Vorfreude auf ein neues Buch von Dir war groß und Du hast mich nicht enttäuscht.
Dieser „Reisebericht“ auf Deine unnachahmlichen Art geschrieben regt selbst an, sich mit dieser Medizin zu verbinden. Danke Dir und viel Kraft für Deine Projekte!
Liebe Grüße aus Augsburg
Uwe
Ich bedaure heute noch, dass ich damals nicht zu dem von Ihrer Frau gemailten Ansprechpartner in Sachen Wölfe reisen konnte. Für die Info möchte ich mich an dieser Stelle nochmals bedanken. Dank iatrogener Nebenwirkungen wurde ich schwer krank. Überstanden habe ich es auch durch eine Art Wolfsmedizin. Allerdings etwas “fußkrank”. So bleibt mir, mich an Petitionen zum Schutz der Wölfe zu beteiligen. Und mich auf Ihr Buch freuen 🙂
ich freue mich dieses neue Buch zu lesen,wie gerne wäre ich mit auf Diese Reise,
Danke Herr Storl,dass Sie sich die Zeit genommen haben,so etwas schönes zu schreiben,
liebe Grüsse Tanja Morandi
Du hast mich vor vielen Jahren in die Lausitz geschickt, um Wölfe kennenzulernen – ich habe einen Deiner Freunde getroffen, der diese Energie in sich trägt. Ich freue mich auf Dein Buch und danke Dir für die jahrelange Inspiration – auf dass Du uns noch sehr lange erhalten bleibst, Wolf. Mit Respekt und Dankbarkeit, Jürgen